Abenteuer Wirklichkeit – Gruppenausstellung

10. März bis 13. April 2023

Realistische Malerei und Skulptur gehört ungebrochen und selbstverständlich zum Spektrum der zeitgenössischen Kunst heute. Interessant an dieser Momentaufnahme ist, dass die Darstellung der Wirklichkeit dabei wie selbstverständlich häufig ins Ungewöhnliche, ins Traumhafte oder Erträumte, ins Surreale „kippt“. Damit positioniert sich Kunst auf ihre Art und Weise gegen die Breitenkultur der Selfies, der mit Bildprogrammen und gestellten Posen verschönerten, manipulierten, interessant gemachten Realität. Indem Künstlerinnen und Künstler über die inhaltliche Arbeit am „Abenteuer Wirklichkeit“ zudem ihr malerisches „Handwerk“ perfekt beherrschen, die Wucht von 500 Jahren realistischen Darstellens aufgreifen, den Schwung nutzen und ihr noch ein Ölbild oder noch eine Skulptur hinzufügen, laden sie ihre Werke mit eigener Sorgfalt und Überzeugungskraft auf, versehen ihre jeweiligen zeitgenössischen Positionen mit einem Mehrwert, der aus der Tiefe der Kunstgeschichte kommt.

Stefan Bräuniger fotografiert seine zuvor sorgfältig inszenierten Motive zunächst – über viele Jahre Früchte, Blumen, aber auch Styropor oder Keramik – und malt dann fotorealistisch vergrößernd vom Foto ausgehend. In den letzten Jahren bleibt die Malweise perfekt realistisch, allerdings übertreibt, hinterfragt und kommentiert er den Realismus ironisch: vermeintlich alte Gemälde warten mit modernen Windrädern auf, Schmetterlinge haben plötzlich zwei verschiedene Flügel, Keramik ist nicht chaotisch zersplittert, sondern weist chirurgisch geschnittene Fensteröffnungen auf.

In ihren „Edekafrauen“ arbeitet Kristina Fiand in einer groß angelegten Werkgruppe Frauen aus dem Holz, die wie Heiligenfiguren mit Attributen etwas über sich und die Welt aussagen: hält die Frau mit den Transistorradio den Kontakt zu Welt der Unterhaltung, der Musik, der Politik? Oder protestiert sie, geflüchtet aus der Ukraine, gegen Putin?

Stefanie Gerhardts Malerei, mit Öl auf Aluminium gemalt, zeigt eher Zwischenräume als eindeutig Zentrales, eher einen Zustand als eine konkrete Abbildung, mehr die Wandlung als den Fixpunkt. Es ist reizvoll, diesen Momenten nachzuspüren, den Nachklang einer Stimmung wahrzunehmen, das Rätsel, das die Motive aufgeben, durch eine Geschichte konkret werden zu lassen und aufzulösen – oder aber das Zweideutige und Unbestimmte als Welt für sich vibrieren zu lassen.

Holger Kurt „Jäger ist am Erkenntnisgewinn durch Neuinszenierung einzelner Inhalte interessiert. Die Dekontextualisierung wird zur Methode, die Collage zur bevorzugten Technik. Durch die neuen Arrangements werden eigenständige narrative Fäden gesponnen, überraschende Behauptungen aufgestellt – und bleiben doch stets unterhaltsam. (…) Es geht heute stets um Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung, um Widerhall und Narzissmus. Auch bei Jägers Werken fragt man sich ständig: Was ist eigentlich noch Wirklichkeit, was schon Fiktion, was gehört zu unserer eigenen Identität und was ist nur ein Abbild der #Regram-Generation.“ (Alain Bieber)

„Die Künstlichkeit des dunklen Raumes, der den Sinnen nur dort erfahrbar wird, wo Licht einfällt, dient dem Maler zur Herstellung genauer Perspektive. Er schwört herauf, entzieht seine Wesen dem Dunkel.“ (Nora Gomringer). „Wir sehen Alltagsmaterialien aus globalisierter Massenproduktion, Warnwesten, wattierte Outdoor-Sportjacken, Reise-Halskissen, Folien, mülltüten, Idea-Lampen, Alu-Rettungsfolien“ (Martin Schick). Auf der Bühne seiner Malerei führt Wolfgang Kessler Menschen vor, die aus der Dunkelheit ins Rampenlicht treten, deren zeitgenössische Attribute aber eher Rätsel aufgeben und Fragen aufwerfen, als eine Szene aufzuschlüsseln.

Die beiden Brüder Karim und Luc Berchiche schaffen als Künstlerpaar „La Fratrie“ vierhändig außergewöhnliche Skulpturen: Hängende Miniaturinseln, minutiöse Konstruktionen, die sie aus zahlreichen Materialien zusammen setzen. Sie schaffen eine phantasievolle und utopische Welt. Schwebende Felsen, ihrem Ursprungsraum entwurzelt, werden zu Plattformen von Szenen, die in uns Betrachtern Phantasien und Geschichten auslösen.

„In meinen Arbeiten geht es grundsätzlich um sozialkritische Auseinandersetzungen. Im Vordergrund steht stets der Mensch mit seinen psychosozialen Befindlichkeiten. Ich stelle mir dabei die Frage, welchen Einfluss unsere Gesellschaft auf ein Individuum hat und inwiefern sich ein Mensch noch individuell entwickeln kann.“ (Elena Steiner). In der Ausstellung zeigen wir Arbeiten, die aus der Malerei ins Objekt übergehen: ein gemalter Mann hebt den Arm und unter seinen Achseln sprießen Kabelbinder.